„Strömungsvisualisierung“: Bewegungsforscher der FSU machen sichtbar, wie Wasser Schwimmer umströmt
(JEZT / FSU | 2014-07-31) – Wenn ein Studentensportler über 50 m Rückenschwimmen den Weltrekord knackt, dann muss er entweder ein Supertalent sein oder „schummeln“. Hill Taylor wurde bei seinem spektakulären Rennen 2011 in den USA disqualifiziert, da er die Strecke vollständig unter Wasser zurückgelegt hat; denn die Regeln erlauben nur eine Tauchphase von 15 Metern.
Doch der mit deutlichem Abstand eingeschwommene „Sieg“ des „Delphin-Mannes“ belegt eindrucksvoll, dass das sog. „undulatorische Schwimmen“ einen großen Geschwindigkeitsvorteil bietet. „Dieser von den Fischen abgeschaute Stil, bei dem der Körper wellenförmig bewegt wird, ist eine der schnellsten Fortbewegungsmöglichkeiten unter Wasser“, erläutert Dr. Stefan Hochstein vom Lehrstuhl für Bewegungswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Die Bewegungsforscher haben in den vergangenen sieben Jahren diese Schwimmtechnik mit Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ausführlich erforscht. Und gerade ist nach fast zweijähriger Entwicklungszeit ein erster Prototyp zur Strömungsvisualisierung am menschlichen Schwimmer fertiggestellt worden. Damit können nun erstmals im Schwimmbecken die Strömungsfelder beim Schwimmen unter Wasser gemessen und die Strömungen sichtbar gemacht werden (Foto oben).
Strömungsvisualisierung im Wasser„Im Wasser können wir während des Schwimmens keine Kräfte messen“, weist der Physiker Hochstein, der das Prototypen-Projekt leitet, auf die Schwierigkeiten hin. Und so wurden bisher die Strömungen immer nur durch numerische Simulationen berechnet. Die Jenaer Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Reinhard Blickhan ist „die erste Gruppe auf der Welt, die numerische und experimentelle Berechnungen vergleichen kann“, freut sich Hochstein. Möglich macht das die neue Gerätekombination, die dank einer Förderung durch die Ernst-Abbe-Stiftung und in Kooperation mit dem Institut für Optik und Quantenelektronik der Universität Jena entwickelt werden konnte. Insbesondere konnte hierdurch mit Anvar Jakupov ein Physiker gefördert werden, der in Zusammenarbeit mit dem Mechaniker Thomas Drafehn einen entscheidenden Anteil am Aufbau des Prototypen hatte.
Bestanden die ersten Messgeräte noch aus einer Hochgeschwindigkeitskamera, die nur durch ein Unterwasserfenster im Schwimmbecken einen begrenzten Ausschnitt filmen konnte, und einem anfälligen sowie teuren Laser, so haben die Jenaer Bewegungsforscher nun ein mobiles und günstiges Testequipment entwickelt. Die teure Kamera wurde in ein wasserdichtes Gehäuse eingebaut und mit einer auf LEDs basierenden Beleuchtungseinheit verbunden; beides kann problemlos ins Wasserbecken getaucht werden. „Der große Vorteil dieses Systems liegt in der Robustheit gegenüber herkömmlichen Lasersystemen und den fast universellen örtlichen Einsatzmöglichkeiten“, sagt Hochstein. „Zudem ist es schnell zu justieren und die Kosten für das System sind um mindestens den Faktor 10 geringer als herkömmliche Laser-Systeme zur Strömungsvisualisierung.“
Bei den Tests – die überwiegend in speziellen Forschungsbecken in Heidelberg stattfanden – werden kleine Kunststoffkügelchen mit der gleichen Dichte wie Wasser ins Becken geworfen, durch die der Schwimmer sich hindurchbewegt. Die Bewegung dieser Kügelchen wird durch die Hochgeschwindigkeitskamera exakt aufgezeichnet und daraus werden im Computer die Strömungsfelder sichtbar gemacht und berechnet.
Damit sind nun die Strömungsvisualisierung und -feldmessung an schwer zugänglichen Orten oder an Orten, die aus sicherheitstechnischen oder organisatorischen Gründen keine Nutzung von Lasern erlauben, möglich. Neben dem Einsatz zur Optimierung von Schwimmbewegungen in Schwimmhallen kann das Gerät „auch zur Erforschung der Wirbelcharakteristik und somit der Fortbewegung von aquatischen Meeressäugern, die aufgrund ihrer Größe nicht in einen Strömungskanal passen, genutzt werden“, ist sich Hochstein sicher. Weitere Anwendungen sind im technischen Bereich denkbar: „Perspektivisch könnte dieses System zur Messung der Verwirbelungen – und somit auch der Beanspruchung bzw. Abnutzung – hinter Brückenpfeilern oder Windrädern genutzt werden“.
Auch wenn nun dank der Jenaer Forschungen Taucher erstmals ganz im normalen Wasser betrachtet werden können: Noch ist das Gerät nicht serienreif. Dafür sind weitere Forschungen ebenso notwendig wie die Kooperation mit Unternehmen. „Es gab schon erste Gespräche“, verrät Hochstein, aber noch sind die Wissenschaftler der Uni Jena auf der Suche nach weiteren Partnern. Und dass selbst mit der Analysetechnik nicht sofort eine Verbesserung von Schwimmzeiten möglich ist, das weiß auch der ehemalige Triathlet Hochstein: „Vor einer Nutzung der Erkenntnisse im Training müssen erst die Analysen erfolgen, wie die Beobachtungen sinnvoll in Schwimmtechnik umgesetzt werden können“. Doch die Trainer und Schwimmer hätten mit dem Jenaer Gerät eine funktionierende Analysemöglichkeit, um ihre eigene Strömung aktiv zu gestalten und zu sehen, wie sie das Wasser fassen – und dies zu nutzen, um regelkonform schneller zu werden.
« „Meine Geschichte, Deine Geschichte – unsere Geschichte“: 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution 1989/90 „Wildunfälle“: Wie kann man Wildunfällen vorbeugen und was ist zu tun wenn ein Unfall passiert ist? »